Transformation ist oft leiser, als wir denken

Was, wenn echte Veränderung nicht dann passiert, wenn es knallt – sondern dann, wenn es still wird?

Als ich zum ersten Mal in einem Workshop meiner Mutter symbolisch auf einem leeren Stuhl gegenübersaß und all das aussprach, was sich über Jahre angestaut hatte, war das eine echt befreiende Erfahrung. Ich habe geschrien, gezittert, geweint – eine Bilderbuch-Katharse.

Ich dachte:

„So. Jetzt habe ich die Beziehung transformiert. So einfach ist das.“

Heute, elf Jahre später, weiß ich: Das war wohl ein kleines bisschen voreilig.

Ja, der Moment war kraftvoll. Ich habe gespürt, wie viel Energie ich in mir festhalte. Es war ein emotionaler Frühlingsputz, der neuen Raum in mir öffnete und meine Sicht auf die Beziehung veränderte. Ich bereue ihn keineswegs.

Aber: Ich hatte einen lauten Moment der Entladung mit echter Transformation verwechselt.

Etwas, das ich inzwischen in vielen Retreats beobachte – auch in meinen eigenen.

Wenn Entladung zur Verwechslung wird

Für Menschen, die wie ich damals in stagnierenden Prozessen festhängen, kann so ein Moment enorm wichtig sein. Vielleicht als Öffnung. Als erster Schritt. Oder einfach, um zu spüren, wie viel Lebendigkeit eigentlich da ist.

Aber – und das ist entscheidend:

Nur weil sich etwas entlädt, heißt das nicht, dass sich etwas dauerhaft verändert.

Im besten Fall ist es der Beginn einer tieferen Auseinandersetzung.

Im schlimmsten Fall wird die Suche nach Entladung selbst zum Muster – und verhindert echte Veränderung. Weil wir süchtig werden nach dem Zustand danach. Weil wir Emotionen nicht mehr halten, sondern sofort loswerden wollen. Und weil dann keine Energie mehr bleibt für die eigentlich tiefgreifenden Schritte: Dranzubleiben. Neue Wege zu gehen. Trotz Emotion liebevoll zu handeln.

Vielleicht liegt das Problem gar nicht in der Katharse selbst –
sondern in dem, was viele von uns immer wieder dorthin zieht:

Die Annahme, dass nur intensive Erfahrungen Veränderung bringen.

Auf der Suche nach Intensität

Wie auch ich messen viele Menschen den Wert einer Erfahrung daran, wie intensiv sie war. Wir suchen Veränderung dort, wo es kracht und durchschüttelt. Deep Dive. Big Shift. Next Level.

Und ja, das kann manchmal der Weg sein.

Aber je länger ich diese Arbeit mache, desto mehr glaube ich:

Diejenigen, die ständig nach Intensität suchen, brauchen oft etwas ganz anderes.

Raum. Geduld. Stille. Vielleicht sogar Langeweile.

Sanft zu erforschen:
Wer oder was in mir will eigentlich diese Intensität?
Ist es wirklich mein Herz, das nach Tiefe ruft –
oder ein alter Teil, der sich nur lebendig fühlt, wenn etwas Großes passiert?

Für mich war es oft die Hoffnung, für einen Moment besonders zu sein. Ganz da.
Oder überhaupt etwas zu fühlen, wenn sonst nur Leere war.

Intensität ist nicht falsch.

Aber wenn sie zur einzigen gültigen Währung für Wandel wird, machen wir vielleicht große Erfahrungen – erinnern uns ein Leben lang daran –
nur kommen wir der darunterliegenden Dynamik nicht auf die Schliche, die uns immer wieder dorthin führt.

Und für diese Arbeit braucht es meistens keinen Knall.
Sondern das Gegenteil.

Transformation durch Verweigerung

Letzten Sommer war ich für ein teures Retreat angemeldet, auf das ich mich gefreut hatte. Ich wollte wieder eine dieser intensiven Erfahrungen – wie im Jahr zuvor.

Doch kaum angekommen, fiel meine Energie in den Keller.
Etwas stimmte nicht. Ich mochte einige Menschen nicht. Ich wollte keine Prozesse.

Dann meldete sich mein innerer Trainer:

Komm schon, das ist nur der Widerstand vor dem Durchbruch. Du kennst das doch. Wenn du dich erstmal öffnest, wird’s großartig.

Fast hätte ich es geglaubt. Denn oft war das auch so.

Aber diesmal machte ich etwas anderes:

Ich packte meine Sachen – und fuhr nach Hause.
Kein Drama. Keine Zeremonie.

Und ungeplant wurde das eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Ich hatte – ohne es zu merken – eines meiner tiefsten Muster unterbrochen:
den Drang, immer eine intensive Erfahrung machen zu müssen.

Und was dann passierte, war genau das, was ich mir eigentlich vom Retreat erhofft hatte:
Ich war inspiriert wie lange nicht. Schrieb Texte. Bekam neue Ideen. Spielte eigene Songs auf der Gitarre.

Es war, als hätte ich durch das Nein zu etwas Äußerem ein tiefes Ja zu etwas Innerem gesprochen.

Nicht als Teil einer Übung – sondern als reale Entscheidung.

Zum Abschluss

Wenn ich eins über die Jahre gelernt habe:

Veränderung sieht für jeden Menschen anders aus.

Mal ist sie laut, mal leise. Mal schnell, mal langsam.

Mal passiert sie in einem Retreat – mal auf dem Weg nach Hause.

Und meistens ist es kein schlechter Anfang, bei deiner eigenen Wahrheit zu beginnen.

In meinen Radical Honesty Workshops geht es nicht um das richtige Maß an Intensität. Sondern um die Erfahrung, die deinem Wesen in der Tiefe dient. Ob das laut ist oder leise – bestimmst nicht du allein, sondern oft der Moment selbst.

Auch wenn der Workshop 8-Tage Intensive heißt,
bedeutet das nicht, dass du eine besonders intensive Erfahrung machen musst.

Vielleicht ist es das kraftvollste für dich, dort zu sitzen –
und mal keinen Prozess zu machen.

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Wenn Workshops zur Alltagsflucht werden